Kurze Stellungnahme der Besetzer_innen der Englischen Straße 20.
Als wir in der Nacht zum 10. September die Räume des ehemaligen TU-Gebäudes in der Englischen Straße betraten, kamen wir nicht um eine symbolische Besetzung durchzuführen.
Wir kamen durchaus in der Hoffnung, einen Nutzungsvertrag für das Gebäude erringen zu können, weil wir dachten, der öffentliche Druck würde unserem Konzept einer selbstverwalteten Schlafstelle mit sozialem Zentrum Nachdruck verleihen. Dass nur eine sehr kleine Chance bestand, dass die Sache so ausgehen könnte, wussten auch wir. Vieles blieb schwer kalkulierbar, wie gut funktioniert die Mobilisierung, wie laufen die Gespräche mit dem Eigentümer etc?
Doch wir dachten letztendlich: Scheiss drauf, was sind schon ein paar Anzeigen wegen Hausfriedensbruch. Auch im Falle einer Räumung würde die Besetzung den Effekt haben, eine Idee, die wir haben, in die Debatte in Berlin einzubringen. Das ist letztlich geschehen. Sowohl medial wie auch in der linken Diskussion ist das Projekt, das wir verfolgen, nun ein Thema. Mehr als ein erster Schritt ist das nicht. Es wird aber nicht der letzte sein.
Die Idee, die in den Wochen zuvor, in denen wir vor der Erstaufnahmestelle in Berlin-Moabit Zeit mit unseren Genoss_innen und Freund_innen ohne Papiere verbrachten, geboren wurde, werden wir weiterverfolgen. Gemeinsam mit anderen Initiativen und auf breiterer Basis. In den kommenden Wochen wird ein ausführlicheres Papier erscheinen, in dem wir erklären wollen, wie wir die Lage einschätzen und wie wir weiter voranschreiten wollen. Vorerst nur einige kurze Sätze:
(1) Wir bedanken uns aus vollem Herzen beim Support auf der Straße.
Gerne hätten wir euch am Ende des Tages im Haus umarmt. Wir haben aber auch festgestellt:
Es existiert ein sehr großes Missverhältnis zwischen der Zustimmung zu unserem Projekt (sei es in sozialen Medien, in persönlichen Gesprächen und solidarischen Stellungnahmen)
und der realen Mobilisierungsfähigkeit. Nur wenige Dutzend Unterstützer_innen haben den Weg zu uns gefunden, obwohl viele tausende die Idee offenbar für tauglich befanden.
Denen die da waren, wollen wir unseren Dank aussprechen. Diejenigen, die das Ding geliked und geteilt haben, aber aus diesen oder jenen Gründen nicht vorbei kamen, bitten wir, uns das nächste Mal zu besuchen. Wenn Protest darin besteht, zu sagen, dass uns etwas nicht passt, und Widerstand der Akt sei, auch wirklich dafür einzutreten, dass das, was uns nicht passt, nicht mehr passiert, dann müssen wir den Schritt vom Protest zum Widerstand gehen.
Wir haben in den vergangen Jahren, geplagt von Repression und fehlender Zielstrebigkeit, alle zusammen ein wenig das Vertrauen in uns selbst und den Mut zu handeln verloren. Lasst uns Vertrauen und Mut gemeinsam zurückgewinnen.
(2) Wir verurteilen mit Nachdruck die Polizeigewalt und die extrem aggressive Stimmung bei den Bullen.
Wir hörten ihre Gespräche vom Dach aus. Davon, uns zu lynchen, war da die Rede, ein besonders mutiger Cop richtete seine Schusswaffe auf uns.
Wir sind letzten Endes unversehrt aus dem Haus gekommen. Schlechter erging es unseren Freund_innen auf der Straße: Sie wurden grundlos angegriffen, von zumindest einer Unterstützerin wissen wir, dass sie im Krankenhaus landete. Ihr geht es den Umständen entsprechend gut.
Ihr – und allen anderen Verletzten, von denen wir nicht wissen – wünschen wir gute Besserung.
(3) Wir sehen die Räumung nicht als Ende unserer Bemühungen, sondern als deren erste Etappe.
Der Druck muss weiter zunehmen. Wir werden einen langen Atem brauchen, aber gemeinsam können wir ihn aufbringen.
Unser Anliegen ist legitim, es ist vernünftig und wir werden von ihm durch die stumpfe Gewalt des Gegners nicht abzubringen sein.
Damit wir durchhalten, müssen wir die Vereinzelung überwinden. Wir müssen gemeinsam mit der rebellischen Jugend, mit allen Ausgebeuteten und Erniedrigten, ob mit Papieren oder ohne, eine gemeinsamen Widerstand schaffen. Während der Gezi-Proteste erklangen in den Straßen Istanbuls die Worte:
„kurtulus yok tek basina – ya hep beraber ya hiçbirimiz.“ (Befreiung gibt es nicht allein. Entweder alle oder keine_r).
Solidarische Grüße an alle, welche die Verhältnisse immer noch zum tanzen bringen möchten!
Nachtrag: Erstaunlich fanden wir es, am nächsten Tag im Deutschlandfunk zu hören, das ein zehnstöckiges früheres Bankgebäude im Stadtteil Wilmersdorf in Berlin beschlagnahmt wurde und jetzt zur Erstaufnahmestelle umfunktioniert werden soll. Wir würden da noch weitere Gebäude vorschlagen.
Ihr hört und lest von uns, bis bald….