Interview mit SC4A zum Workshoptag am 5. März

Jenseits des LAGeSo-Hofs

Flüchtlingsinitiativen und linke Gruppen planen in Berlin ein Zentrum, in dem Geflüchtete Zusammenhalt, Hoffnung und Kraft finden können

Die Berliner Initiative Social Center for all (SC4A) wurde im vergangenen Jahr durch zwei Besetzungen in Charlottenburg und Neukölln bekannt. Sehr schnell räumte die Polizei die Gebäude, die nun wieder leer stehen. Für diesen Samstag lädt SC4A zusammen mit weiteren (Flüchtlings-)Initiativen wie »Moabit Hilft« und »Bündnis gegen Lager« Interessierte in den Mehringhof ein, um ein Konzept für ein soziales Zentrum in Berlin zu erarbeiten. Das Treffen findet von 12 Uhr bis 18 Uhr statt. Zu den Initiatoren gehören die Radikale Linke Berlin, die Interventionistische Linke, autonome Gruppen und die Antifa Friedrichshain.

Sie wollen in Berlin ein »Social Center for all« errichten. Was verstehen Sie darunter?

Wir wollen einen solidarischen Ort schaffen, an dem antirassistische Arbeit für und mit Geflüchteten vernetzt wird, fernab von staatlicher Kontrolle und Repression. In anderen Städten und Ländern gibt es schon solche gemeinsamen Orte, wo Alternativen zur staatlich verordneten Isolation entstanden sind. Ob Rechtsberatung, Unterkunft, Sprachkurse oder die Verteidigung gegen Übergriffe: Alles wird dort kollektiv angepackt und eine Lösung gesucht.

Gibt es dafür in Berlin nicht schon passende Adressen?

In Berlin gibt es zwar viele selbstverwaltete Räume, aber keinen zentralen Treffpunkt für alle, die konkrete antirassistische Solidaritätsarbeit leisten, und keinen Ort, an dem sich Geflüchtete austauschen und sich für ihre Bedürfnisse selbst organisieren. Ein SC4A, das den Fokus auf dieses eine Thema legt, kann Stärke erlangen, wenn die unzähligen Initiativen und Einzelpersonen an einem Ort kontinuierlich zusammenkommen können und sich ihre Erfahrungen, ihr Wissen und ihre verschiedenen Kämpfe zu etwas Neuem verbinden. Dafür braucht es einen zentralen Ort, jenseits von Mailinglisten, Cafés oder des LAGeSo-Hofs.

Warum betonen Sie so stark die Unabhängigkeit von staatlichen Einflüssen?

Deutschland führt Kriege, exportiert Waffen und hat eine lange Tradition, Unternehmen zu unterstützen, die an Ausbeutung und Fluchtursachen beteiligt sind. Kein Mensch flieht freiwillig. Menschen, die aus Not, also aufgrund dieser kapitalistischen Politik, hierher kommen, werden weggesperrt in Lager und abgeschoben in Länder, in denen sie verfolgt werden, wie Roma in Serbien, oder in Kriegsregionen wie Afghanistan. Das Recht auf Asyl ist de facto abgeschafft und dem rassistischen Mob wird freie Hand gelassen. Warum sollte mit diesem rassistischen Staat zusammengearbeitet werden? Wir wollen eine wirkliche Alternative zu der rassistischen Lager- und Abschiebepolitik der BRD.

Wollen Sie auf dem Weg, ein Haus zu bekommen, auch mit der Politik auf Landes- und Bezirksebene verhandeln?

Wenn ein Bezirk ein Haus zu vergeben hat: Her damit! Aber wie die Stadt mit selbstverwalteten Projekten von Geflüchteten umgeht, hat die Räumung des Flüchtlingcamps am Oranienplatz im Frühjahr 2014 deutlich gezeigt. Außerdem geht es uns ja darum, den Initiativen nicht von der Stadt oder vom Bezirk vorschreiben zu lassen, wie Soliarbeit für Geflüchtete auszusehen hat. Das ist unsere Ausgangsposition.

Warum ist ein soziales Zentrum für Flüchtlinge notwendig?

Unser Kerngedanke ist, jedem Menschen die individuelle Bewegungsfreiheit zu ermöglichen. Der Staat versucht an allen Ecken, die Emanzipation der Geflüchteten zu verhindern. Das Zentrum soll da einen gewissen Schutzraum bieten. Es soll die Möglichkeit eröffnen, unbürokratische Hilfe zu gewährleisten und wirklich auf die Bedürfnisse der einzelnen einzugehen. Wenn jemand ein Dach über dem Kopf braucht, kann das organisiert werden. Wenn jemand einen Weg zu schikanösen Behörden vor sich hat, kann der begleitet werden. Es geht jedoch auch um die Organisierung der Geflüchteten untereinander, gerade der gemeinsame Erfahrungsaustausch schafft Zusammenhalt, Hoffnung und die Kraft zu kämpfen. Mit dem Oranienplatz wurde den Geflüchteten der letzte öffentliche Raum dafür genommen.

In Lübeck, Göttingen und Halle gab es erfolgreiche Besetzungen. Warum ist das bislang in Berlin nicht gelungen?

Die Hürde, ein Haus in Berlin zu halten, ist aufgrund der repressiven Politik und dem Unwillen, selbstverwaltete Projekte zu dulden, wesentlich höher als in anderen Städten. Einerseits gibt es hier die »Berliner Linie«, das heißt, der Senat lässt jede Neubesetzung innerhalb von 24 Stunden räumen, egal ob eine Strafanzeige vorliegt oder nicht. Andererseits braucht es aber auch eine breite Zustimmung in der lokalen Bevölkerung und ein kämpferisches Klima, aus dem heraus das SC4A politisch gefordert wird. Daran müssen wir noch arbeiten. Unsere Konferenz ist ein Schritt in diese Richtung.

Was ist das Ziel Ihres Konferenztages am 5. März?

Sich gemeinsam darüber auszutauschen, wie ein solches Zentrum aussehen könnte. Es sind viele verschiedene Initiativen eingeladen, die mit ihren Erfahrungen und Vorstellungen diesen Tag füllen werden. Am Ende soll ein Konzept für das SC4A entstehen, das von allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern getragen wird. Jeder und jedem soll klar sein: »Ich weiß genau, wo ich bin, wenn es morgen dieses Haus gibt. Ich weiß genau, warum das Zentrum notwendig ist und wie ich mich einbringe.« Wenn wir das schaffen, sind wir auf dem besten Weg.

https://socialcenter4all.blackblogs.org

Dieses Gespräch erschien in »neues deutschland«. Einen Überblick über weitere Initiativen in Deutschland, die sich für ein Soziales Zentrum einsetzen, findet sich in diesem nd-Artikel.

Ergänzung zum Workshoptag am 5. März

Für die Initiator*innen ist es wichtig, dass der Ausdruck und die Angebote eines Sozialen Zentrums von den Menschen erarbeitet werden müssen, die das SC4A gestalten werden. Entscheidungen darüber sollen basisdemokratisch getroffen werden.
Das SC4A in Leipzig hat durch seine Utopieworkshops aufgezeigt, dass es darum geht, gemeinsam mit allen einen politisches Konzept zu erarbeiten. Nur dann kann das Projekt auch Substanz haben.
Bis jetzt gibt es einige konkrete Ansätze wie zum Beispiel die Wohnungsfrage. Die dezentrale Unterbringung von Geflüchteten in Woohnungen statt Lagern ermöglicht soziale Teilhabe und Bewegungsfreiheit. Das KOZE in Hamburg bietet eine Notübernachtung, das OH10 in Göttingen auch permanenten Wohnraum. In Berlin ist noch zu diskutieren, ob im Social Center auch gewohnt werden soll, oder dezentrale Unterbringung vor dort aus organisiert werden soll.
Das Projekt Shelter in Frankfurt besteht von Anfang an auch im erheblichen Teil aus Geflüchteten. Auch in Berlin soll der Fokus darauf liegen, dass das Projekt ein Haus auch von Geflüchteten ist. Die Selbstorganisierung und die Zusammenarbeit auf Augenhöhe soll im Mittelpunkt stehen.
Unbürokatische Hilfe wie Rechts- und medizinische Beratung sowie Sprachkurse sollen angeboten werden. Das findet in den vorgestellten Projekten bereits statt und die Erfahrungen sind durchweg positiv, was die Vernetzung und Emanzipation der Teilnehmenden betrifft.